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TVD verhilft Tiermedizinern auf den Gipfel – Teil 2

Anderes Land, andere Sitten

August 2017

„Die Triebwerke beginnen zu laufen. Wir werden in unsere Sitze gedrückt. Vor wenigen Stunden noch habe ich eine Prüfung in “Botanik“ geschrieben und jetzt sitze ich mit Kim im Flieger. Nach einigen Stunden machen wir erstmals am Flughafen von Dar es Salaam Bekanntschaft mit der schwül heißen Tropenluft und zahlreichen Moskitos. Erst am nächsten Tag werden wir von einem Fahrer am Flughafen empfangen. Hier bemerken wir sofort die Veränderung zu unserem Heimatland: Mit unglaublichem Tempo rast er über die Huckelpisten des Hinterlandes zur Farm. Es ist Trockenzeit und der aufgewirbelte Staub vernebelt alles was hinter uns liegt. Irgendwie Aufregend! Auf der Fahrt sehen wir atemberaubende Landschaften, wie wir sie noch nie zuvor erlebt hatten! Allerdings erkennen wir auch die bittere Armut des Landes. In den riesigen Slums aus einfachen Wellblech oder Lehmhütten stinkt es nach Fäkalien, Müll und Rauch. Menschen waschen sich in dem schaumig dreckigen Rinnsal, das sich durch die Hütten schlängelt. Ein paar Meter weiter trinken die Rinder und allgegenwärtigen Ziegen aus dem selbigen Gewässer. Einen Steinwurf entfernt machen sich die Straßenhunde daran die verwesenden Kadaver aus dem Wasser zu fischen und zu verschlingen. Die allgemeine Arbeitslosigkeit ist nicht zu übersehen. Die Einheimischen sitzen lediglich vor ihren Häusern und kochen im besten Fall auf offener Flamme.  Lediglich die Kinder in ihren Schuluniformen grüßen uns. Sie winken uns zu und rennen neben dem Auto her, als wären wir Könige. Irgendwie beängstigend!

Bald erreichen wir die Farm. Nachdem wir Bekanntschaft mit allen Familienmitgliedern gemacht haben und herumgeführt wurden, erkennen wir sehr schnell: Es gibt sehr viel zu tun! Der Betrieb lebt überwiegend aus dem Anbau von Kaffee. Seit ein paar Jahren verschiebt sich aufgrund der Bodenübersäuerung in Folge unsachgemäßen Umgangs mit Düngemitteln der Fokus jedoch immer mehr auf die Produktion von Eiern. Derzeit hat der Betrieb 2500 Legehennen. Aufgrund der Schwierigkeit Werkzeuge oder Ersatzteile zu beschaffen, ist es in Tansania sehr schwer wirtschaftlich zu arbeiten. Alles muss importiert werden! Oft verhindern bürokratische Hindernisse das Vorkommen. Ein ganz entscheidender Nachteil ist auch die geringe Qualifikation der Angestellten und ihre Arbeitseinstellung. Zwar gibt es in Tansania eine allgemeine Schulpflicht, aber diese wird nur in den seltensten Fällen tatsächlich eingehalten. Eine Kontrolle ist fast unmöglich, da selbst in staatlichen Krankenhäusern selten Geburtsurkunden ausgestellt werden. So entscheiden sich viele Familien dafür, ihre Kinder lieber zu Hause für die Ernte oder als Bettler in der Stadt einzusetzen. So verwundert es auch nicht, dass in Tansania die zweite Amtssprache Englisch ist. Nur die wenigsten – gerade auch Beamte – sind in der Lage mehr als “How are you“ über die Lippen zu bringen.  Auch die allgemeine Korruption und Vetternwirtschaft ist allgegenwärtig. Fast für alles, selbst für  das einfache Vorankommen im Straßenverkehr an Polizeikontrollen, sind Schmiergelder notwendig. Das weitaus größere Problem allerdings ist, dass sich für die einfache Bevölkerung – ein Mittelstand existiert nicht! – ein wirtschaftliches Arbeiten schlicht und einfach nicht rentiert. Dies liegt daran, dass die Tansanier in Großfamilien mit gegenseitiger finanzieller Unterstützung leben. Ein Beispiel: Ein arbeitender Familienvater muss nicht nur seine Kinder und Ehefrau(en) unterhalten, sondern auch noch Großeltern, Kindeskinder Onkels und Tanten…. Und dann denkt sich der Bruder “Warum denn arbeiten, wenn ich auch ohne Arbeit von ihm versorgt werde?“ Die Situation ist durchaus mit der Misswirtschaft im Kommunismus zu vergleichen. Leider sind auch Gegenmaßnahmen der Regierung und Organisationen fast wirkungslos, da nur die Dorfältesten als Autoritäten anerkannt werden. Reformen sind so fast nicht umzusetzen. Diese Mischung aus schlechter Bildung, Korruption, Bürokratie und Arbeitsunmut sowie fehlender Arbeitsaufsicht begünstigen sich in einem Teufelskreis gegenseitig…

Auf der Farm leben wir etwas abseits vom Geschehen, fast wie in einer Parallelwelt! Im Haushalt mischen sich afrikanische und deutsche Traditionen. Das Haus ist solide aus Stein gebaut, die Kinder wohl erzogen und unglaublich intelligent. Täglich verbringen wir ein paar Stunden spielend mit dem kleinen Marcel und seinen Schwestern. Trotzdem bekommen wir ständig die Auswirkungen des Handelns der Bevölkerung und die allgemeine Situation mit. Auch wir ernähren uns überwiegend von Ugali. Das ist ein Maisbrei, der zwar satt macht, aber kaum Nährstoffe enthält und für den katastrophalen Proteinmangel in der Bevölkerung mit verantwortlich ist. Wir stoßen daher bei unseren Aufgaben schon sehr bald an diese unsichtbaren Wände und Grenzen.

Die Leid tragenden dieser Situation sind nicht nur die Menschen selbst. Sondern besonders die Umwelt und die Tiere werden Opfer dieser Mischung aus Unvermögen und schlichter Ignoranz!! Täglich beobachten wir Menschen beim Brandroden oder der illegalen Abholzung des Waldes, um daraus Holzkohle herzustellen. Am schlimmsten trifft es die Hunde. Da schon die Menschen nur von Ugali leben, erhalten sie natürlich nichts Besseres – geschweige denn Fleisch. Uns ist es unbegreiflich, wie man zwei säugende Hündinnen ohne Futter und Wasser in der Sonne anketten kann und dann die Frage aufkommt, warum die Welpen sterben. Unsere Einwände, Bestrebungen und Handeln wurden schlicht nicht umgesetzt, zu Nichte gemacht oder mit “das haben wir schon immer so gemacht“ tot gesprochen. Es sind nicht die Hühner, die leiden. Letztere werden fast mit besseren Nährstoffen versorgt als die Einheimischen!

Einmal hatte ich einen Eimer Futter unbeaufsichtigt auf dem Pickup stehenlassen. Als ich zurückkam, wunderte ich mich, wo die Arbeiter abgeblieben waren. Als ich sie entdeckte, konnte ich kaum fassen, was ich sah: Sie saßen auf dem Truck und hatten das Hühnerfutter fast leer gegessen! Das ist auch ein Grund, warum es dort weit und breit keinerlei Wildtiere mehr in freier Wildbahn gibt. Sie werden schlichtweg verspeist! Aber was soll man auch Erwarten? In einem Land, in dem noch Katzen gegessen und “Hexen“ verbrannt werden…

Einen Lichtblick gibt es aber: Eines Tages werden wir von einem mit der Familie befreundeten Pastor zum Fischen an seinen Fischteichen eingeladen. Der Mann war nicht nur ein talentierter Fischzüchter und Imker, sondern ein wahrer Christenmensch. Er hatte die Dorfschule mit aufgebaut und bringt den Menschen aus seinen Versuchen mit neuen Imkereimethoden neue Erkenntnisse nahe. Bei seinen Versuchen wendet er durchaus, wenn auch primitive, wissenschaftliche Methoden an. Sogar zum Abendessen und Übernachtung läd er uns ein. Als wir ihn fragen, ob wir ihm etwas Honig abkaufen könnten (was in Tansania nicht billig ist!), fragt er nur: “Wie viel wollt ihr?“ – und schenkt uns eine mit Honig gefüllte 1,5 L Pet Flasche.

Bis auf den Besuch bei einem Fußballspiel – bei dem wir die eigentliche Attraktion waren  – ist jetzt jeder Tag gleich. Er beginnt bei Sonnenaufgang mit Malariatabletten. Dann Kakerlaken verjagen. Außerdem Joggen und Atemübungen zur Vorbereitung der Bergbesteigung. Nach dem Essen geht es weiter mit der frustrierenden Arbeit bis zum Sonnenuntergang. Wir fiebern eigentlich der Bergtour entgegen. Jeder, der einmal den Film “Apokalypse now“ gesehen hat, wird sich an die Eingangsszene erinnern, in der der Protagonist unter dem Ventilator liegt. Genau in dieser Situation befinden wir uns jeden Abend. Uns wurde schnell klar, dass wir hier gar nichts verändern können. Wozu also diese Reise?“